Einführung

Nisseikai ist eine besondere Schule der klassischen, traditionellen Goju-Ryu Karate-Do. Sie ist in Japan entstanden und wurde dort vielfach fortgeführt.

Nisseikai steht mit seinem chinesischen Schriftzeichen "SEI", übersetzt mit Wahrheit, Treue, Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, für den "achtfachen Weg Buddhas" zur Überwindung des Leides. Es versteht sich damit als eingebettet in die alte, traditionelle Kultur Japans.

Nisseikai wurde vor über 50 Jahren von Nobetsu Tadanori Sensei gegründet.


Was ist Goju-Ryu Karate-Do? - Geschichte

Geboren im 17. Jh. aus einem Zusammenschluss zwischen Okinawa-Te (entstanden aus traditionellen religiösen = Odori und Kampf-Tänzen = Kumi-Odori der Adeligen Okinawas z.B. Odorite = die tanzenden Hände) und dem chinesischen Quanfa (To), entstand die Technik des "TO-TE", später Kara-Te genannt.

Quanfa, die waffenlosen Selbstverteidigungstechniken der Shaolin, fanden so Eingang in die Verteidigungspraktiken der Adeligen Okinawas.

Da ihnen selbst das Tragen von Waffen seit Mitte des 15. Jh. verboten war, setzten sie sich damit nach dem Überfall der Satsuma im Jahre 1609, gegen die schwertführenden Samurai der japanischen Besatzer zur Wehr.

Gleichzeitig entwickelte die Landbevölkerung ebenfalls eine effektive Selbstverteidigungstechnik mit umfunktionierten Bauerngeräten.

Die einheimischen machten so den Samurai das Leben äußerst schwer.


TO-TE JITSU 

Für das "TO-TE" galt die Maxime: "Der erste Schlag muss töten." (一拳必殺, IKKEN HISSATSU), also auch eine Rüstung durchdringen.
Aber jeder TO-TE-Kämpfer musste den Eid ablegen, seine Fertigkeiten ausschließlich nur zum Schutz des eigenen Lebens, das der Familie oder zur Verteidigung der Heimat anzuwenden.

 

Seit seiner "Geburtsstunde" also ist Karate (TO-TE) eine an der Verteidigung interessierte Kampfkunst, so beginnt auch jede klassische Kata mit der Abwehr.

Fast 100 Jahre lang war das TO-TE eine unter strengster Geheimhaltung geübte Technik und jeder Meister gab sein Wissen ausschließlich an ausgewählte Schüler weiter. Nach Aufhebung der "Internierung" der Adeligen in der okinawaischen Hauptstadt Mitte des 18. Jh. verbreitete sich die Kunst über die gesamte Ryukyu-Inseln und verschiedene Meister des TO-TE gingen nach China, wo sie als "Meisterschüler" oder "Innerer Schüler" (=UCHIDESHI) über kürzere oder längere Zeit in der unmittelbaren Nähe ihrer jeweiligen Shaolin-Meister verbrachten.

Von diesen Aufenthalten brachten die TO-TE-Meister nicht nur Techniken zum Ki sammeln (aus den Chi-Gong Übungen der Shaolin) für den positiven Gebrauch der körpereigenen Energie und für die richtige Atmung mit, sondern auch die sog. Kata (Verteidigung und Angriff gegen einen oder mehrere imaginäre Gegner) und den "Weg", das DO mit.

Dem "IKKEN HISSATSU" wurde das "SUNDOME" (= Achtung vor dem Leben des Gegners) gegenübergestellt.


KARATE, oder KARATE-DO?

Nach ihrer Rückkehr entstanden so zwei verschiedene Stilrichtungen, deren Namen im Grunde nichts anderes als, verschieden ausgesprochen, Shaolin-Schulen bedeuten, nämlich das Shorin - und das Shoreiryu. Wobei Letzteres einen tieferen, philosophischen Hintergrund und Gehalt aufweist.

Dennoch blieb KarateDO (mittlerweile mit dem Kanji für aku = kara = sora = leer-, freimachen, leer von Inhalt, Himmel geschrieben und TE = nicht nur Hand, sondern damals schlicht für Technik) bis zur Wende vom 19. auf das 20. Jh. eine geheime Kunst, die weiterhin vom Meister nur an ausgewählte Schüler durch die Form der Kata weitergegeben wurde. 

Dann aber waren sich die Begründer der beiden Hauptstilrichtungen Shotokan, hervorgegangen aus dem Shorinryu (Funakoshi Gichin) und Gojo-Ryu, hervorgangen aus dem Shoreiryu (Miyagi Chojun) einig darin, dass ihre Kunst zum Nutzen der Allgemeinheit verbreitet werden sollte.

Die Geheimhaltung wurde aufgehoben, man ging an die Schulen und auch ins Ausland. Das Ziel war vor allem die Förderung der Gesundheit, aber auch des Selbst-Bewusstseins, der Disziplin und des Mutes der jungen Generation zur positiven Bewältigung des eigenen Lebens und als nützliches Mitglied der Gesellschaft.

In Japan fand Karate-Do Eingang in die traditionellen Kampfkünste des BUDO.

Nach dem zweiten Weltkrieg gelangte Karate-Do, vor allem Shotokan, nach Amerika und Europa. Zum Leidwesen der alten Meister entartete Karate-Do vielfach zum reinen Wettkampfsport.

Hierzu ein Zitat aus dem Buch "Okinawa Karate" (S. 264) von Werner Lind.
Unter der Überschrift "Karate kommt nach Europa" schrieb er:

"Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist Europa bis heute fest in den Händen der japanischen Wettkampfrichtungen - die klassischen okinawaischen Systeme werden von den Wettkampforganisationen immer noch erfolgreich isoliert, wodurch in Europa ein großes Missverständnis über den eigentlichen Sinn des Karate besteht. Während Karate in allen Teilen der Welt seinen Siegeszug als edle, für den Menschen wertvolle Kunst der Selbstverteidigung, der Selbstbetrachtung und der Weg-Disziplin hält, ist es in den Augen des Durchschnitts-Europäers immer noch ein zweifelhafter Sport für junge Menschen, die sich - ähnlich wie im Boxen - austoben wollen. Dadurch hat Europa einen hohen Stellenwert im Wettkampf, aber einen niederen Stand im klassischen Karate-Do."


Was ist Nisseikai?

Das Wort Nisseikai setzt sich zusammen aus den drei Teilbegriffen:
NI - für Japan, japanisch
SEI - für Wahr, Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit
KAI - für Verteidigung, Gruppe, Gesellschaft
Nisseikai ist eine besondere Schule des Goju-Ryu Karate-Do.
In diesem Sinne liegt mehr Gewicht als sonst auf das Erlernen der traditionellen Kata-Formen.

Und dies auf eine Weise, wie es einst einer der alten Meister ausgedrückt hat
"Du darft nicht fragen wozu die Kata gut sind. Übe sie, das ist alles. Erst später  wirst du verstehen.
Dein Körper muss lernen, nicht dein Kopf." (Werner Lind, Okinawa Karate S. 101)

Nobetsu Tadanori Sensei hatte den wesentlichen, philosophischen Gehalt seiner Schule in 12 Leitmotive, oder Maxime, zusammengefasst:

  • AISATSU => Begrüßung, beinhaltet aber auch Achtung, Ehrfurcht vor dem Gegenüber, Wertschätzung und Freundlichkeit
  • HENJI => Antwort, beinhaltet aber auch (beim Zuhören) Aufmerksamkeit, Konzentration und Resonanz
  • KIAI => Ermutigung, Entschlossenheit, fördert und koordiniert gleichzeitig den eigenen Energiefluss
  • GENKI => Gesundheit, beinhaltet auch munter, lebendig und frisch
  • KONKI => Ausdauer, Fleiß und Geduld
  • YUKI => Mut
  • SEIKETSU => Sauberkeit (aber bis in alle Ecken), Reinheit
  • WAGO => Harmonie, trautes Miteinander
  • KYOURYOKU => Kooperation, Mitwirkung und Zusammenarbeit
  • KENSAN => Über Jahre hinweg zu studieren
  • RIKAI => Gegenseitiges Verständnis und Verstehen
  • FUJO => Unterstützung und Hilfe

Neben den 12 Maximen, kann man den Gedanken unter dem Nobetsu Sensei seine Schule des Nisseikai verstanden sehen möchte, recht gut mit den Worten Werner Linds zusammenfassen, der schrieb (in "Okinawa Karate" S. 257):

"Das Üben des klassischen Karate beinhaltet auch heute noch das Erfahren seiner energetischen Struktur (Geist, Konzentration, Kraftfluss, Atmung, Feinmotorik, usw.) und führt zum Verständnis eines Kampfstils, der durch die Kata überliefert wurde. Alles, was sonst in einem klassischen Kampfkunsttraining passiert, ist nichts weiter als eine zusätzliche Hilfestellung für dieses enorm komplizierte Konzept, das in den traditionellen Katas enthalten ist.

Karate-Do ist eine Wissenschaft, ein lebenslanges Studium.
Wettkampf Karate ist ein Sport - eine Laune des Ego.

Erst wenn Übende diese Grenze überschreiten, eröffnet sich das enorme Feld des Karate-Weges (Do), auf dem der Übende die anfänglichen Tendenzen des selbstsüchtigen Spaßhabens hinter sich lässt und einen Sinn im Leben sucht."


Schlusswort

In Japan gilt man mit 50 noch als jung (wakai).

Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt für Frauen bei 87, bei Männern 82 Jahren.
Gefeiert wird erst der 77. Geburtstag. Und es gibt derzeit mehr als 92.000 die über 100 Jahre alt sind.
Gesund, munter, aufgeschlossen und springlebendig.

Der Glaube an sich selbst, der Mut zum Risiko, Neugier, Offenheit und Lernbereitschaft, gesunde Ernährung und ein angemessenes Maß and Bewegung bis ins hohe Alter erhalten "wakai", das Jung-Sein.

Was uns die Japaner voraus haben ist aber ihr Eingebettet-Sein in alte Traditionen, vor allem in die Tradition der Familie im weitesten Sinne oder wie ein Buchtitel geheißen hat: "Freiheit in Geborgenheit".

Ihre Verbundenheit mit der Natur und die traditionelle, überaus gesunde Küche mit Soya und Reis und allen ihren Produkten, wie Tofu, Miso mit viel Fisch, Huhn und fast rohem Gemüse trägt zur Gesundheit bei. Alles eben mit viel Liebe zubereitet (selbst der jap. Schnell-Imbiss, das "O-Bento", ist eine Augenweide).

Zumindest in unserer Generation noch, so scheint es, pflegt fast jeder neben den Alltagspflichten einen der traditionellen Wege des Blumenstecken (IKEBANA), Papierfalten (ORIGAMI), Bogenschießen (KYUDO) u.a.m.

Sie alle bemühen sich um ein gedeihliches Zusammenleben auf ihren Inseln, aber nicht nur dort. Man möchte beitragen, auch international, zu einer "besseren Welt", für eine friedliche Zukunft.

Die Meister sind bereit, ihr Wissen weiter zu geben, und ihre Weisheit in die Waagschale zu legen. Es bedarf nur einen, der Willens ist zu Lernen.